Das Rollenspiel

Dem Nebel, der sich mir entgegenstreckte, wich ich zunächst aus. Dass er mich nicht erreichen konnte war der Grund, weshalb ich mich wieder nach so kurzer Zeit in Bewegung setzte und auf die Dunkelheit zuging.
Sie machte mir nichts aus, die Dunkelheit. Sie war ein Teil meines Volkes wie die Frucht ein Teil des Baumes war.
Bevor ich jedoch durch das gewaltige Tor passierte, atmete ich tief ein. Und mit der Luft, die ich ausatmete, trat auch ich nach vorne.

Sofort umfing sie die Dunkelheit wie eine Mutter ihr Kind und schloss sie tief in ihr Inneres ein. Von einer Sekunde zur nächsten, war sie in einer tiefdunklen Höhle, die nur durch zwei schimmernde Lichtpunkte erhellt wurde. Es waren Augen und sie brannten wie ein wildes Feuer. Dann wurde es heller, doch die Lichtquelle blieb unentdeckt, und ein gewaltiges monströses Wesen wurde sichtbar. Es streckte und räkelte sich wie eine Katze die aus ihrem Schlummer erwacht worden war. Der lange Schweif glitt lautlos über den Boden, die gewaltigen Schwingen breiteten sich von einer Seite der Höhle zur anderen hin aus. Ein riesiges Haupt übersät mit gebogenen Hörnern hob den Blick und ein Maul mit rasiermesserscharfen Zähnen, jeder so lang wie der Arm eines Mannes, öffnete sich. Flammen schossen daraus empor hinauf zur Decke der Höhle, die mit funkelnden Stalagmiten übersät war. Wie ein Feuerwerk warfen sie farbenfrohe Licht an die glänzenden Steine, aus denen die Höhle bestand.
"Seid mir gegrüßt Einhornblut!", ertönte die Stimme des Drachens wie grollender Donner in einem tosenden Sturm.

Verdutzt und unfähig mich zu Bewegen, starrte ich die riesige Feuerschlange an. Ihre gewaltigen Schwingen waren ausgebreitet und trugen zu einem einschüchternden und faszinierenden Eindruck bei, der sich tief in mein Herz brannte. Dann, als ich mich endlich zusammenriss, ging ich langsam in die Knie, den Blick dabei nicht von ihm abwendend.
"Es ist mir die größte Ehre Euch kennenzulernen, Erstgeborener.", sagte ich anerkennend. Trotz dessen, dass ich vor ihm kniete und mich so erpicht über unser Zusammentreffen äußerte, wirkte ich keinesfalls unterwürfig. Dennoch wusste ich darum, ihn den nötigen Respekt zu zollen. Er lebte länger als alles, was mir bekannt war. Die Linie der Drachen gab es vor dem ersten Einhornblut, lange, lange davor. Sein feuriger Atem erhellte den alten Himmel schon bevor Magier diese Welt beschritten, von dem, was man mir erzählt hatte.
"Mein Name ist Alice Delcira.", stellte ich mich vor, während ich mich erhob. "Aber das wisst Ihr vermutlich schon."

"Ich weiß vieles. Dieses Wissen steht mir zu.", antwortete er ihr und neigte leicht das Haupt um sie besser sehen zu können. "Aber wo sind meine Manieren? Ich bin der Erste. Meinen wahren namen kann ich dir nicht nennen, denn im Grunde ist mein Name ein Schöpfungszauber aus der alten Welt, ersonnen von meinem Schöpfer - dem Schatten der Leere. Allein wenn ich an ihn denke, kann ich Leben und Macht erschaffen..."
Der Blick der riesigen Feuerechse glitt in die Ferne, dann wandte sie sich wieder an ihren Gast. "Dunkel Zeiten liegen hinter dir und noch dunklere vor dir. Du suchst was dir die Macht verleiht zu heilen. Du suchst nach einem Weg ungeschehen zu machen was geschehen ist, doch wisse das die Zeit nur von einem beeinflusst werden kann und er ist vor langer Zeit in tiefen Schlaf gefallen und hat seine Schöpfung den Göttern überlassen, deinen und meinen Meistern.
Du bist Suchend, nun sage mir Einhornblut, wonach suchst du?"

"Ich wünschte mir, meine Absichten wären so nobel, wie ich sie gerne hätte. Doch stehen diese nicht in erster Linie.", sprach ich nach einiger Zeit. "Natürlich könnte ich Euch jene Absichten nennen, die mich heldenhaft erscheinen lassen, doch... Ich will ehrlich mit Euch sein.", erklärte ich ernst und stieß einen leisen Seufzer aus. "Mein Herz ist geschwärzt von Rachedurst. Ich will die Welt nicht nur vor dem Nekromanten und seinen Anhängern erretten, ich will ihn brennen sehen... Ihn leiden sehen... Es macht mir Angst, dass ich so mit Hass gefüllt bin, Erster der Drachen. Ich will dem Bösen in mir nicht nachgeben, aber dennoch wird es von Tag zu Tag presenter. Manchmal erwische ich mich dabei darüber zu fantasieren, dass ich ihn langsam foltere und für jedes Opfer leiden lasse, dass er erforderte. Es ist seine Schuld, dass so viele sterben mussten! Seine, dass auch meine Freunde starben... Und meine, dass ich ihn bisher nicht aufhalten konnte.", sagte ich und sank verzweifelt auf die Knie. "Und gleichzeitig will ich es nicht. Gleichzeitig sagt mir mein Gewissen und Herz, dass der Antrieb der Rache mich zu keinem besseren Magier machen wird, als den Nekromanten."

Aus den Nüstern des Drache stieg Rauch empor und er streckte eine Klaue aus die er gegen Alice Brust stemmte. "Reue". sagte er und tippte gegen ihre Stirn. "Du magst das Böse in dir spüren und es für falsch bekennen, doch ist der Hass nicht auch dein Antrieb? Ist er nicht die treibende Kraft hinter deinem Handeln? Bist du nicht deswegen so weit gekommen, weil so viel Zorn in dir schlummert? Frage dein Herz danach und du wirst erkennen, dass nicht das Böse deinen Verstand umschattet, sondern das so viel gutes in dir ist - gutes das durch Trauer und Wut umnebelt wird, sodass du es nicht sehen kannst. Wenn deine Zeit gekommen ist, dann wirst du all deinen Hass brauchen, um den Dunklen zu zerschmettern. Und wenn er vernichtet ist, wird der Nebel sich lichten.
Die Welt lässt sich nicht in Gut und Böse teilen, liebe Alice. Wir allein entscheiden über unsere Taten. Unser Wesen bestimmt unser handeln. Dein Denken entscheidet nicht, wer du bist, sondern was in dir ist." Er führte seine Kralle wieder an ihr Herz. "Dein Herz ist was du bist. Und wenn du akzeptieren kannst, wer du bist und welche Macht in dir verborgen liegt, dann wirst du nicht in die Schatten stürzen. Dann wirst du die Heldin sein, die du schon so oft gewesen bist. Die Dunkelheit verschleiert meinen Blick in die Zukunft, doch wenn ich dich sehe, ist mein altes Herz voller Hoffnung."

"Nicht nur Euer Herz ist nun voller Hoffnung, Erster.", sprach ich nach einiger Zeit und brachte ein schwaches Lächeln zustande. Die ganze Zeit über glaubte ich, nach und nach dem Bösen zu verfallen. Dass ich eine Dunkelelfe war machte das nicht unbedingt besser, da mein Volk seit ew'ger Zeit als Unheilvoll und durch und durch fähig böse zu sein beschrieben wurde.
Aber, wenn ich tief in mich ging, fühlte ich mich nicht so - böse. Denn anders als der Nekromant, konnte ich lieben. Ich liebte das Leben, ich liebte diese Welt so wie sie war, ich liebte Aralez und all die Freunde, die ich auf dieser langen Reise gewann, und ich liebte Felan.
"Wie werde ich ihn besiegen können?", fragte ich den Drachen. "Mein Hass alleine wird doch nicht ausreichen... Oder doch?"

Das alte Ungetüm hob die riesige Pranke und präsentierte Alice deren Innenseite. Ein helles Licht blitzte auf und dann erschien ein Wirbel aus kunterbunten Farben, der zu einem Strudel wurde der sich durch Zeit und Raum zu winden schien. Aus seinen wirbelnden Tiefen die unendlich tief zu sein schienen kam ein rostiger Kelch empor gestiegen, der schmucklos, alt und demoliert war. Der Strudel verschwand und der Kelch schwebte über der Pranke des Drachen.
"Dies wird dir helfen den Nekromanten zu besiegen, doch du allein, bist der Schlüssel zu seinem Untergang."

Ich musterte den alten Kelch lange, ehe ich wieder sprach. "Wie wird dieser Kelch mir helfen, den Nekromanten zu besiegen?", fragte ich den Drachen. Ich zweifelte nicht an seinen Worten, ich verstand sie nur nicht.

Der Drache sah sie eine Weile schweigend an und Rauch quoll aus seinen Nüstern. "Das wird sich dir zu gegebener Zeit offenbaren." Er schwieg noch einmal bis ein tiefes Grollen aus der Kehle des Drachen drang. Es klang wie ein Seufzen. "Wie gerne würde ich diese Höhlen verlassen um dir zu helfen, doch leider bin ich hier gebunden. Ich bin alt und schwach. Die Last muss nun von jüngeren Schultern getragen werden und das tut mir leid. Aber wie ich schon sagte: du wirst allen Hoffnung bringen! Und daran halte ich fest und du solltest das auch."

"Wirst du die Höhle jemals wieder verlassen können?", fragte ich ihn, nachdem ich kurz geschwiegen hatte. Wie sehr es mir doch helfen würde, wenn er mir im Kampf gegen den Nekromanten zur Seite stünde... Aber das konnte ich nicht von ihm erwarten, selbst würde er es vermögen, diesen Ort zu verlassen.

Der Drache schien ihr mit seinen leuchtenden Augen in ihre Seele zu blicken, so eindringlich war sein Blick. Erneut drang ein dumpfes Grollen aus seinem Rachen. "Die Dunkelheit ist wie eine drückende Last, sie ist wie eine Ketten die mich hält. Die Welt hat mich vergessen und ich habe sie vergessen. Ich bin ein Teil dieser Dunkelheit, ein Teil dieser Höhle - genauso wie sie Teil von mir ist. Würde ich gehen wäre ich wie dumpfer Nebel, wie Rauch, leblos, formlos und trübe. Ich bin schon zu lange hier, als dass ich fortgehen könnte. Ich habe mich selbst vergessen... Ich werde nie mehr von hier fortgehen können."

"Und wenn Ihr Euch erinnern würdet? An die Welt und Euch selbst? Könntet Ihr alten Glanz wiedererlangen?", fragte ich weiter, nicht viel Hoffnung hegend, was seine Antwort anging. Aber vielleicht... Vielleicht stünde etwas in dem Oktav? Wenn ich es nach dem Sieg über den Nekromanten wieder in Händen halten würde, könnte ich darin einen Zauber finden, der den Drachen zu dem machte, was er einst war?

Der Drache musterte sie erneut und plötzlich regte sich etwas in seinen Augen. Etwas wie ein Leuchten, das ganz schwach war wie das Licht einer Kerze und immer heller zu leuchten begann. Das Monstrum regte sich und seine gewaltigen Pranken waren wie gewaltige Hammerschläge als er sich auf seine vier Gliedmaßen stellte und sich vor ihr aufbaute. "JA! JA!", rief er von Hoffnung und Ekstase ergriffen. "Einst, als die Göttliche noch auf Erden wandelten, erschuf Arva die Schöne einen magischen Spiegel, ein Spiegel der tief in die Seele blicken lässt, ein Spiegel der zeigt wer man wirklich ist. Und er liegt vergraben in den Ruinen ihres einstmals großen und mächtigen Tempels. Wenn ich diesen Spiegel hätte, würde ich frei sein! Ich wäre gelöst von den Ketten die ich mir in meiner Torheit selbst anlegte. Und ich würde als Feuer und Verderben über den Feind ziehen! Ich würde an Eurer Seite stehen Einhornblut! Bringt mir Arva's Spiegel und ich bin Frei!"

"Arvas Spiegel?", wiederholte ich und versuchte mich daran zu erinnern, woher mir dieser Gegenstand bekannt vor kam. Doch es fiel mir einfach nicht ein, sodass ich mich damit zufrieden geben musste, wohl in der Bibliothek darüber gelesen zu haben.
"Wie gelange ich zu diesem Tempel?", fragte ich ihn, sofort hilfsbereit und ohne Bedenken.

"Ihr seid Ihr schon einmal begegnet, erinnert Ihr Euch? Sie rettete Euch vor den Spionen des Nekromanten, seinen garstigen Krähen, Schatten alter Mächte. Ihr seid Ihr in ihrem Wald begegnet und dort weilt auch ihr Tempel. Dort, wo der Nekromant Euch in Gestalt eines alten Tattergreises überrumpelte.", erzählte Ihr der Drache. "Doch wenn Ihr dorthin geht, Einhornblut, so hütet Euch vor den Schergen des Nekromanten. Seine treue Dienerin, die Hexe will um jeden Preis Euren Kopf. In Wuuthrand hat Euer Freund dem Hexenmeister eine große Schmach bereitet, als er ihm die Hand abschlug, und Ihr als Ihr ihn unter Trümmern begrubt. Hütet Euch vor der Hexe!"

"Die Hexe...", ich rief mir ihre hässliche Grimasse in den Kopf. Wie sehr ich sie hasste... "Sie hat sich vor mir zu fürchten!", meinte ich ernst. "Aber ich verstehe, was Ihr sagt. Ich kehre zurück und werde den Spiegel bergen.", versicherte ich ihm.

"Ich werde für Euch ein Tor öffnen, dass Euch hinauf in die Halle des Erzkanzlers bringt. Berichtet Ihm von Eurem Vorhaben und er wird Euch helfen." Die Feuerechse hob die Pranke und ein weiteres Mal erschien ein Licht darin. Ein schmale kleiner Kristall leuchtete in seiner Hand auf. "Nehmt diesen hier. Dies ist der Splitter eines zerbrochenen Wanderspiegels. Ich habe ihm meinen Willen eingehaucht, sodass er Euch hierher zurück bringt, zurück nach Karypto."

Dankbar nahm ich den besagten Gegenstand entgegen, den ich schnell in der Seitentasche meiner Robe verschwinden ließ. "Schon bald werde ich zurückkehren, wartet auf meine Rückkehr!", versprach ich.

"Ich wünsche Euch alles Glück dieser Welt Einhornblut. Kehrt wohlbehalten zurück. Möget Ihr im Licht wandeln und die Schatten hinter Euch lassen. Gebt acht auf Euch!", wünschte der Drache ihr ehe die Dunkelheit sich teilte und den Weg in die große Vorhalle wieder preisgab.
Felan stand an deren Ende und sah nun mit großen Augen das riesige Ungetüm an, Kein Laut drang über seine Lippen und er wartete still schweigend.
"Wenn Ihr den Gang zurück geht, den Ihr gekommen seid um mich zu suchen, dann werdet Ihr die Halle des Erzkanzlers finden.", fügte der Erste noch hinzu und legte seinen massigen Körper wieder darnieder. "Geht jetzt, die Zeit drängt."

Ein letztes Mal verneigte ich mich vor seiner Anmut, ehe ich auf dem Absatz kehrt machte und die Halle mit eifrigen Schritten verließ.
"Felan!", rief ich laut und aufgeregt.

Der junge Elf winkte ihr freudig zu und als sie bei ihm war schloss er sie in ihre Arme. "Dir geht es gut.", sagte er feierlich und drückte sie noch einmal. Dann ließ er sie los, hielt sie aber immer noch am Arm. "Ist er der Erste?", fragte er und sah zu dem Drachen, der sie beide mit feurigen Augen beobachtete. "Was hat er gesagt? Kann er uns helfen?"

Auch ich drückte ihn fest, froh, dass er wohlauf war.
"Er war tatsächlich der Erste.", bejahte ich seine Frage und zögerte kurz, ehe ich weiter sprach. "Und er wird uns helfen."
Und dann begann ich ihm alles zu erzählen, bis ins kleinste, unwichtigste Detail. "Jedenfalls... Brauchen wir deswegen den Spiegel."

Felan ließ sich ihre Erzählung kurz durch den Kopf gehen und Verdaute das, was noch vor ihnen lag. Er nickte schließlich verstehend. "Gut. Dann haben wir unser Ziel, aber vielleicht sollten wir vorher meine Mutter davon in Kenntnis setzen, was meinst du?"

Kurz wollte ich ihm widersprechen, doch dann hielt ich inne. "Gut, du hast recht. Gehen wir zuerst zu ihr, bevor wir nach dem Spiegel suchen.", stimmte ich ihm zu.